Zeugnisse Nutzen oder Last?
Eine empirische Studie der Ernst-Abbe-Hochschule Jena zur Zeugnispraxis in Deutschland.
Jeder Beschäftigte hat in Deutschland bei Beendigung seines Arbeitsverhältnisses einen Rechtsanspruch auf die Ausstellung eines Arbeitszeugnisses. Die Rechtsprechung hat die Direktive aufgestellt, dass Arbeitszeugnisse einerseits wahr, andererseits aber auch wohlwollend formuliert sein müssen. Vielfach wird die Existenz eines „Zeugniscodes“ behauptet, den man beim Lesen eines Arbeitszeugnisses entschlüsseln muss. Aber wie rational ist es eigentlich, dass der Zeugnisersteller zunächst Wahrheiten versteckt, die der Zeugnisleser dann mühsam enttarnen soll?
Wenn aber viele Unternehmen einerseits Bedenken wegen möglicher Zeugnisstreitigkeiten mit dem scheidenden Arbeitnehmer haben und andererseits wissen, dass man im Zeugnis nur höchst eingeschränkt Wahrheiten wiederfindet – wie wahrscheinlich ist es dann, dass Zeugnisse im Auswahlprozess eine wichtige Rolle zukommen?
Es gibt durchaus Meinungsbildner die der Auffassung sind, dass sich die Unternehmen den Aufwand sparen sollten. Oftmals von ungeschultem Personal lieblos zusammengeschustert, oft nur oberflächlich zur Kenntnis genommen, lautet das vernichtende Urteil der Forscher zu Arbeitszeugnissen. Als gravierendstes Problem neben der mangelnden Individualität des Zeugnisses gaben die befragten Zeugnisersteller den Konflikt zwischen Wahrheit und Wohlwollen an.
Bei der Personalauswahl nutzt die Hälfte der Unternehmen die Arbeitszeugnisse nur weniger intensiv, kaum oder gar nicht.Der wichtigste Bestandteil und Vorteil von Arbeitszeugnissen ist, laut der Untersuchung, die Tätigkeitsbeschreibung.
Diese Grundskepsis war der Anlass für die beiden Forscher Steffi Grau und Prof. Dr. Klaus Watzka für eine empirische Fragebogenuntersuchung zur Erstellung und zur Nutzung von Arbeitszeugnissen in deutschen Unternehmen. Dafür werteten sie 97 Fragebögen von Zeugniserstellern und 89 von Zeugnisauswertern aus.
Die beiden Forscher ziehen vor dem Hintergrund dieser Daten den Schluss, dass die Zeugnispraxis samt ihrer gesetzlichen Grundlagen in Deutschland dringend veränderungsbedürftig ist, wenn Zeugnisse einen hohen Nutzen in der Personalauswahl entfalten sollen. Mehr Informationen zur Studie finden sie unter Studie der Ernst Abbe Hochschule in Jena